Das ehemalige Wohnhaus der irischen Designerin Eileen Gray ist ein kleines architektonisches Meisterwerk an der französischen Riviera.
Aber dahinter steckt eine komplexe Geschichte von Liebe, Verrat und tragischen Toden.
Von Dames don’t care
E.1027 (auch „Maison en Bord de Mer“) ist die Bezeichnung für das Wohnhaus der irischen Designerin und Architektin Eileen Gray, welches sie für sich und ihren damaligen Partner, den rumänischen Architekten und Architekturkritiker Jean Badovici entwarf.
Der rätselhafte Name des Hauses ist ein Zahlenspiel.
E=Eileen, 10=Jean, 2=Badovici, 7=Gray.
Die Architekturikone wurde zwischen 1926 und 1929 in Roquebrune-Cap-Martin an der Französischen Riviera errichtet.
Gray entwirft das Haus so, dass Innen und Aussen ineinander fliessen.
Das Gefühl von Weite und Helligkeit wird durch die grossen Fenster verstärkt; Fenster die sich wie eine Ziehharmonika zusammenschieben lassen.
Die von ihr gestalteten Möbel und Leuchten sind ikonisch geworden, Moderne-Klassiker. Damals ist das reine Avantgarde, unerhört neu. Gray ist Pionierin und, tja, weil Frau, lange nahezu unbekannt.
Gray hatte diesem Haus ihre Seele gegeben. Und eine Zeit lang kann sie ihre Leistung genießen. Sie verbringt mehrere Sommer hier, manchmal mit Badovici, manchmal alleine.
1937 besucht Corbusier das Haus zum ersten Mal.
Aber Grays Beziehung zu Badovici wird angespannt.
Also macht sie, was sie immer tut. Sie zieht weiter. „Man darf nie nach Glück suchen“, sinnierte sie einmal.
„Es kommt auf dem Weg an einem vorbei, aber immer in die entgegengesetzte Richtung. Manchmal erkanne ich es.“
Sie überlässt Badovici das Haus.
Die Villa ist klein, aber für Eileen Gray muss jeder „frei und unabhängig bleiben“ und alles auf kleinstem Raum verstauen können. Zu diesem Zweck entwirft sie elegante, funktionale und äußerst raffinierte Möbel, wobei sie jedem Detail größte Aufmerksamkeit schenkt.
In ihrem ganzheitlichen Ansatz entwirft Eileen Gray auch alle Möbel für das Haus, einschließlich der Teppiche, Lampen, Spiegel und Einbauschränke. Unter all diesen Objekten ist auch der Beistelltisch E.1027, den sie für ihre Schwester konzipiert, welche ihr Frühstück gerne im Bett geniesst.
Le Corbusier wird ein regelmässiger Besucher und Gast von Jean Badovici.
Schon bald gesteht Corbusier «seine heftige Lust, die Wände zu beschmieren».
Und so zerstört er zwischen 1937 und 1939 das minimalistische und durchdachte Design mit einer Reihe von Wandmalereien. Er «schändet» das Werk der Architektin, nackt markiert er es.
Acht grosse Wandgemälde entstehen, sexuell aufgeladen auch in den Motiven.
Le Corbusier wird dadurch in das Schicksal des Hauses eingebunden.
Nach misslungenen Versuchen E.1027 zu erwerben, kauft er ein Grundstück östlich von E.1027, wo er eine kleine, rustikale Hütte baut, "Le Cabanon”.
Vier Jahre nach Badovicis Tod dümpelte E.1027 vor sich hin. Da es auf seinen Namen eingetragen ist, wird seine Schwester die gesetzliche Erbin, aber sie sitzt in Rumänien fest und darf kein Eigentum im Ausland besitzen.
Le Corbusier startete daraufhin eine unglaubliche Kampagne, um das Schicksal des Hauses und seiner Fresken zu kontrollieren.
Er findet eine Käuferin, Marie Louise Schelbert eine wohlhabende Schweiz-Amerikanerin und Freundin. Sie gewährt im uneingeschränkten Zugang.
Gray versuchte, einige Möbel zurückzuholen, wird aber, wie sie später sagt, „daran gehindert“.
Sie konnte nie wieder dazu überredet werden, ihr „Maison en bord de mer“ zu besuchen.
Aber E.1027 ist nun vorübergehend gerettet. Schelbert nimmt mehrere Änderungen vor, ist aber im Großen und Ganzen eine anständige Wächterin von Grays Haus, auch wenn sie nie von ihr gehört hatte.
Fünf Jahre später wird Le Corbusier am Fusse der Klippen vor E.1027 gefunden.
Gegen Anraten des Arztes ist er im Meer schwimmen gegangen. Es wird angenommen, dass er einen Herzinfarkt erlitt.
Die strahlend weiße Villa E-1027 in den Klippen war möglicherweise das Letzte, was er sah.
Irgendwann im Jahr 1980 parkt ein Mann mitten in der Nacht einen Lastwagen neben dem Bahnhof von Roquebrune und geht den Fußweg zum Haus hinunter. Er verfrachtet die meisten Möbel von Gray auf den Lastwagen. Sein Name ist Heinz Peter Kägi und er ist Schelberts Arzt. Drei Tage später wird sie tot in ihrer Wohnung aufgefunden.
Kägi legt Dokumente vor, die beweisen, dass er das Haus 1974 von Schelbert gekauft hatte, aber ihre Kinder, die vermuten, dass er an ihrem Tod beteiligt gewesen sein könnte, fechten den Vertrag an, indem die Verstorbene Dr. Kägi das Haus einschliesslich der Möbel für nur 70’000 SFr. übertragen hat.
Die Klage ist erfolglos, Kägi zieht in das Haus und verkauft die restlichen Möbel auf Auktionen von Sotheby 's in Monaco.
Unter Kägis Eigentümerschaft verfällt E.1027 rapide.
Gerüchte kursierten, dass die Villa jetzt eine Art Orgien-Höhle ist. Kägi beherbergt lokale Jungs und gibt ihnen Drogen und Alkohol. Am 22. August 1996 wird Kägi mit einem Messer niedergestochen und verblutet auf dem Boden des Wohnzimmers.
Nach Kägis Tod wird die Villa besetzt und verwüstet, das Haus droht zu verfallen.
Überraschenderweise überleben Corbusiers Fresken.
1998 gründet die New Yorker Galeristin Sandra Gering die Organisation “Friends of E-1027”
Sie erreichte, dass E-1027 als vollwertiges „Monument historique“ neu eingestuft wurde.
Nach vielen Jahren der Vernachlässigung und Vergessenheit beginnen im Jahr 2000 die Restaurierungsarbeiten an E-1027, wobei die „Notrestaurierungen“ bis 2006 abgeschlossen wurden. Weitere Restaurierungen finden zwischen 2006 und 2010 statt.
Ironischerweise ist die Verstümmelung durch Corbusiers Wandmalereien, die Rettung von E.1027.
Ohne sie würde das Haus ohne Zweifel dem Zerfall überlassen.
Wegen diesen Wandgemälden wird noch Jahrzehnte das Haus Le Corbusier zugeschrieben.
Eileen Gray kehrt nie mehr in ihr Haus zurück.
Erst spät wird dieser grossen Künstlerin architekturgeschichtliche Anerkennung zuteil.
E.1027 wird 2016 wieder für die Öffentlichkeit geöffnet und ist derzeit von Mai bis Oktober geöffnet. Reservierungen sind erforderlich!
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